Rechtsprechung
   Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17   

Zitiervorschläge
https://dejure.org/2017,24809
Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17 (https://dejure.org/2017,24809)
Generalanwalt beim EuGH, Entscheidung vom 18.07.2017 - C-42/17 (https://dejure.org/2017,24809)
Generalanwalt beim EuGH, Entscheidung vom 18. Juli 2017 - C-42/17 (https://dejure.org/2017,24809)
Tipp: Um den Kurzlink (hier: https://dejure.org/2017,24809) schnell in die Zwischenablage zu kopieren, können Sie die Tastenkombination Alt + R verwenden - auch ohne diesen Bereich zu öffnen.

Volltextveröffentlichung

  • Europäischer Gerichtshof

    M.A.S. und M.B.

    Vorlage zur Vorabentscheidung - Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union - Art. 325 AEUV - Strafverfahren betreffend Straftaten im Bereich der Mehrwertsteuer - Mögliche Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union - Nationale Rechtsvorschriften, ...

Verfahrensgang

 
Sortierung



Kontextvorschau





Hinweis: Klicken Sie auf das Sprechblasensymbol, um eine Kontextvorschau im Fließtext zu sehen. Um alle zu sehen, genügt ein Doppelklick.

Wird zitiert von ... (4)Neu Zitiert selbst (16)

  • EuGH, 08.09.2015 - C-105/14

    Indem das italienische Recht bei schwerem Mehrwertsteuerbetrug aufgrund einer zu

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    Das vorlegende Gericht hebt jedoch hervor, dass die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Verpflichtung das italienische Strafgericht dazu zwinge, auf vor der Veröffentlichung des Urteils am 8. September 2015 begangene Straftaten, die noch nicht verjährt seien, längere Verjährungsfristen als jene anzuwenden, die bei Begehung dieser Straftaten vorgesehen gewesen seien.

    Soweit die italienische Verfassung ein höheres Niveau des Grundrechtsschutzes gewährleiste als das im Unionsrecht anerkannte, erlaubten es Art. 4 Abs. 2 EUV und Art. 53 der Charta den nationalen Gerichten, sich zu weigern, der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung nachzukommen.

    Mit ihren drei Vorlagefragen möchte die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) deshalb vom Gerichtshof wissen, ob Art. 325 AEUV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. nationale Gerichte dazu verpflichtet, die streitgegenständlichen Verjährungsregeln auch dann unangewendet zu lassen, wenn erstens diese Regelungen in der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen und damit dem materiellen Strafrecht unterliegen, wenn zweitens diese Verpflichtung keine ausreichend präzise rechtliche Grundlage hat und wenn schließlich drittens diese Verpflichtung mit den obersten Grundsätzen der italienischen Verfassungsordnung oder den unveräußerlichen Rechten der Person, wie sie von der italienischen Verfassung anerkannt werden, unvereinbar ist.

    Die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) macht sehr deutlich, dass sie für den Fall, dass der Gerichtshof seine Auslegung von Art. 325 AEUV im Urteil Taricco u. a. mit denselben Worten aufrechterhalten sollte, das nationale Ratifizierungs- und Durchführungsgesetz zum Vertrag von Lissabon - soweit es Art. 325 AEUV ratifiziert und durchführt - für unvereinbar mit den obersten Grundsätzen seiner Verfassungsordnung erklären und die nationalen Gerichte von ihrer Pflicht zur Beachtung des Urteils Taricco u. a. entbinden könnte.

    Zweitens und in Fortführung der vom Gerichtshof im Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni(8), aufgestellten Grundsätze werde ich darlegen, dass Art. 53 der Charta es meines Erachtens den Gerichten eines Mitgliedstaats nicht gestattet, sich der Erfüllung der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung mit der Begründung zu widersetzen, dass diese Verpflichtung mit dem höheren Standard des Schutzes der durch die Verfassung dieses Staates garantierten Grundrechte unvereinbar sei.

    Das Urteil Taricco u.

    Die Corte suprema di cassazione (Kassationshof) und die Corte d'appello di Milano (Berufungsgericht Mailand), bei denen Verfahren wegen schweren Mehrwertsteuerbetrugs anhängig waren, waren der Auffassung, dass die Nichtanwendung von Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs auf vor dem Tag der Veröffentlichung des Urteil Taricco u. a. liegende Sachverhalte eine rückwirkende Verschärfung des Strafregimes zur Folge hätte, die mit dem in Art. 25 Abs. 2 der italienischen Verfassung verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen unvereinbar wäre.

    Die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Verpflichtung stehe deshalb im Widerspruch zu den in Art. 7 EMRK genannten Anforderungen.

    Soweit die italienische Rechtsordnung einen höheren Standard des Grundrechtsschutzes gewährleiste als denjenigen, der sich aus der Auslegung von Art. 49 der Charta und Art. 7 EMRK ergebe, erlaube Art. 53 der Charta den nationalen Gerichten, sich über die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. begründete Verpflichtung hinwegzusetzen.

    Als Zweites führt die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) aus, dass die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Verpflichtung auf ungenauen, mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbaren Kriterien beruhe, weil es dem nationalen Gericht unmöglich sei, die Fälle, in denen ein Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union als "schwer" zu bewerten sei, und die Fälle, in denen die Anwendung der fraglichen Verjährungsregeln "in einer beträchtlichen Zahl von Fällen" zu einer Straffreiheit führe, eindeutig zu definieren.

    Als Drittes meint das vorlegende Gericht, dass die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. entwickelten Regeln mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung unvereinbar seien.

    Die im Urteil Taricco u. a. genannten Grundsätze erlaubten es nicht, den Beurteilungsspielraum der Gerichte zu beschränken, die folglich frei seien, sich von den fraglichen gesetzlichen Regelungen zu lösen, wenn sie in diesen ein Hindernis für die Bestrafung der Straftat sähen.

    In ihrer Vorlageentscheidung führt die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) schließlich aus, Art. 4 Abs. 2 EUV erlaube es dem nationalen Gericht, sich der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. begründeten Verpflichtung zu entziehen, weil diese einen obersten Grundsatz seiner Verfassungsordnung verletze und deshalb geeignet sei, die nationale Identität und insbesondere die Verfassungsidentität der Italienischen Republik zu beeinträchtigen.

    Ist das Urteil Taricco u. a. dahin auszulegen, dass der Strafrichter verpflichtet ist, eine nationale Verjährungsvorschrift, die der Verfolgung einer beträchtlichen Anzahl von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteten schweren Betrugsfällen entgegensteht oder für die Betrugsfälle zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union kürzere Verjährungsfristen als für die Betrugsfälle zum Nachteil der finanziellen Interessen des Staates vorsieht, auch dann unangewendet zu lassen, wenn diese Nichtanwendung mit den obersten Grundsätzen des Verfassungsrechts des Mitgliedstaats oder mit den in der Verfassung des Mitgliedstaats anerkannten unveräußerlichen Grundrechten unvereinbar ist?.

    Bevor ich mit der Analyse der vorgelegten Fragen beginne, erscheint es mir zweckmäßig, einige Vorbemerkungen zunächst zu dem Kontext, in dem das Urteil Taricco u. a. ergangen ist, und dann zu der Herangehensweise, die die Parteien und die Europäische Kommission in der mündlichen Verhandlung gewählt haben, zu machen.

    Die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. hervorgehobenen Probleme im Zusammenhang mit den Auswirkungen der in Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs vorgesehenen Verjährungsregeln auf die Effektivität der Bestrafung des Mehrwertsteuerbetrugs sind also nicht neu.

    So wurde die Italienische Republik mit dem Urteil Cestaro/Italien(24) nur wenige Monate vor dem Urteil Taricco u. a. wegen einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht nur in seinem materiellen, sondern auch in seinem verfahrensrechtlichen Teil verurteilt, wobei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Bestehen eines "strukturellen Problems" feststellte, nämlich die "Ungeeignetheit" der im Strafgesetzbuch vorgesehenen Verjährungsregeln für die Bestrafung von Folter und für die Gewährleistung einer hinreichend abschreckenden Wirkung(25).

    Diese Elemente scheinen mir wichtig, um den nationalen, aber auch den europäischen Kontext zu verstehen, in dem das Urteil Taricco u. a. steht.

    Im Rahmen ihrer ersten beiden Fragen stellt die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) die Vereinbarkeit der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. entwickelten Grundsätze und Kriterien mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen in Frage.

    Nach Ansicht der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) ist die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Verpflichtung mit diesem Grundsatz unvereinbar, weil sie vom nationalen Gericht fordere, die Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs im Rahmen laufender Verfahren unangewendet zu lassen, so dass sich die anwendbare Verjährungsfrist verlängere.

    Insoweit ist einzuräumen, dass das Urteil Taricco u. a. allein nicht ausreicht, um der Kritik des vorlegenden Gerichts zu begegnen.

    Es geht nämlich nicht darum, den vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsatz in Frage zu stellen, wonach die nationalen Gerichte verpflichtet sind, die Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und in Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs unangewendet zu lassen, um eine effektive und abschreckende Ahndung von Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, sondern vielmehr darum, die Kriterien zu präzisieren, auf deren Grundlage dieser Verpflichtung nachzukommen ist.

    Zu dem vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsatz.

    Das Urteil Taricco u. a. enthält, wie ich bereits gesagt habe, nicht alle Elemente, um diesen Ansatz zu widerlegen, für den sich die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) auf das Bemühen beruft, einerseits eine angemessene Verfahrensdauer und andererseits die Rechte der verfolgten Person zu gewährleisten.

    In Anbetracht all dessen und in Fortführung des vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsatzes ist meines Erachtens Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV dahin auszulegen, dass er von dem als ordentliches Gericht der Union handelnden nationalen Gericht verlangt, dass es die sich aus der Kombination der Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs ergebende absolute Verjährungsfrist unangewendet lässt, wenn eine solche Regelung die Verhängung effektiver und abschreckender Strafen im Fall eines schweren Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verhindert oder für Fälle schweren Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen des betreffenden Mitgliedstaats längere Verjährungsfristen vorsieht als für solche zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union.

    Nach den vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsätzen sind die nationalen Gerichte verpflichtet, die Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs unangewendet zu lassen, falls diese Regelung "die Verhängung von wirksamen und abschreckenden Sanktionen in einer beträchtlichen Anzahl von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichteten schweren Betrugsfällen " verhindert(43).

    In Ermangelung von Leitlinien oder einer anderen Präzisierung im Urteil Taricco u. a. ist das nationale Gericht allein in der Tat nicht in der Lage, die Fälle, in denen eine Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union als "schwer" zu qualifizieren ist, und die Fälle, in denen die Anwendung der betreffenden Verjährungsregeln zur Folge hätte, "die Verhängung von wirksamen und abschreckenden Sanktionen in einer beträchtlichen Anzahl von [Fällen] " zu verhindern(44), eindeutig zu definieren.

    Das im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Kriterium beruht auf dem Bestehen einer systemischen Gefahr der Straffreiheit.

    Zu den zeitlichen Wirkungen der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung.

    Nach den vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsätzen ist das nationale Gericht verpflichtet, soweit erforderlich die kombinierten Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs in laufenden Verfahren unangewendet zu lassen, um gemäß Art. 325 AEUV eine effektive Ahndung des festgestellten Betrugs zu gewährleisten.

    Bekanntlich waren es die mit diesem Gesetz bewirkten grundlegenden Änderungen, die Gegenstand der Rechtssache waren, in der das Urteil Taricco u. a. ergangen ist, und die uns heute beschäftigen.

    Das vorlegende Gericht ist außerdem der Ansicht, dass die im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsätze mit den in Art. 7 EMRK aufgestellten Erfordernissen und insbesondere mit dem der Vorhersehbarkeit unvereinbar seien, da die betreffenden Personen in Anbetracht des zum Zeitpunkt der Tat geltenden normativen Rahmens vernünftigerweise nicht hätten vorhersehen können, dass das Unionsrecht und insbesondere Art. 325 AEUV dem Gericht vorschreiben würde, die Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs unangewendet zu lassen(62).

    Die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) führt sodann die Bestimmungen von Art. 53 der Charta gegen die Erfüllung der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung an.

    Es komme eine Auslegung von Art. 53 der Charta in Betracht, die es der Italienischen Republik gestatte, den durch die italienische Verfassung garantierten Grundrechtsschutzstandard anzuwenden, da dieser höher sei als jener, der sich aus der Auslegung von Art. 49 der Charta ergebe, und ihn gegen die Erfüllung der vom Gerichtshof in dem Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung einzuwenden.

    Ich bin deshalb der Meinung, dass Art. 53 der Charta es den Gerichten eines Mitgliedstaats nicht erlaubt, sich der Erfüllung der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung mit der Begründung zu widersetzen, dass diese Verpflichtung den von der Verfassung dieses Staates gewährleisteten höheren Standard des Grundrechtsschutzes nicht achte.

    Die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) ist der Meinung, dass die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Verpflichtung dadurch, dass sie einen obersten Grundsatz ihrer Verfassungsordnung, nämlich den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen verletze, die nationale Identität und insbesondere die Verfassungsidentität der Italienischen Republik beeinträchtigen könne.

    Außerdem bin ich nicht davon überzeugt, dass die sofortige Anwendung einer längeren Verjährungsfrist infolge der Erfüllung der vom Gerichtshof in dem Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung geeignet ist, die nationale Identität der Italienischen Republik zu berühren.

    Unter Berücksichtigung dessen bin ich nicht davon überzeugt, dass die vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellte Verpflichtung dadurch, dass sie dazu führt, dass das nationale Gericht in einem laufenden Verfahren sofort eine längere Verjährungsfrist als jene anwendet, die das Gesetz zum Zeitpunkt der Begehung der Tat vorsah, eine Verletzung der nationalen Identität der Italienischen Republik darstellen kann.

    Nach alledem bin ich deshalb der Meinung, dass Art. 4 Abs. 2 EUV es den Gerichten eines Mitgliedstaats nicht erlaubt, sich der Erfüllung der vom Gerichtshof im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Verpflichtung mit der Begründung zu widersetzen, dass die sofortige Anwendung einer längeren Verjährungsfrist als jener, die das Gesetz zum Zeitpunkt der Begehung der Tat vorsah, in einem laufenden Verfahren die nationale Identität dieses Staates berühren würde.

    Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er der Nichtanwendung der kombinierten Bestimmungen in Art. 160 letzter Absatz und des Art. 161 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs durch die italienischen Gerichte in einem laufenden Verfahren gemäß der vom Gerichtshof im Urteil vom 8. September 2015, Taricco u. a. (C-105/14, EU:C:2015:555), aufgestellten Verpflichtung nicht entgegensteht.

    Art. 53 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erlaubt es den Gerichten eines Mitgliedstaats nicht, sich der Erfüllung der vom Gerichtshof im Urteil vom 8. September 2015, Taricco u. a. (C-105/14, EU:C:2015:555), aufgestellten Verpflichtung mit der Begründung zu widersetzen, dass diese Verpflichtung den von der Verfassung dieses Staates gewährleisteten höheren Standard des Grundrechtsschutzes nicht achte.

    Art. 4 Abs. 2 EUV erlaubt es den Gerichten eines Mitgliedstaats nicht, sich der Erfüllung der vom Gerichtshof im Urteil vom 8. September 2015, Taricco u. a. (C-105/14, EU:C:2015:555) aufgestellten Verpflichtung mit der Begründung zu widersetzen, dass die sofortige Anwendung einer längeren Verjährungsfrist als jener, die das Gesetz zum Zeitpunkt der Begehung der Tat vorsah, in einem laufenden Verfahren die nationale Identität dieses Staates berühren würde.

    2 C-105/14, im Folgenden: Urteil Taricco u.

    a., EU:C:2015:555.

    12 Einige nationale Gerichte haben jedoch eine andere Position eingenommen: vgl. die Urteile 2210/16 der Corte suprema di cassazione (Kassationshof), 3. Strafkammer, vom 20. Januar 2016 (in dem diese die im Urteil Taricco u. a. aufgestellten Grundsätze in der Überzeugung umsetzt, dass die Regelung der Verjährung dem Verfahrensrecht angehöre und es nicht nötig sei, der Corte costituzionale [Verfassungsgerichtshof] eine Frage der Verfassungsmäßigkeit vorzulegen), 7914/16 der Corte suprema di cassazione (Kassationshof), 4. Strafkammer, vom 26. Februar 2016 (in dem diese die Pflicht zur Nichtanwendung der Verjährungsregeln nur für den Fall bestätigt, dass das Verfahren tatsächlich nicht verjährt ist), und schließlich 44584/16 der Corte suprema di Cassazione (Kassationshof), 3. Strafkammer, vom 24. Oktober 2016 (in dem diese die Kriterien dafür entwickelt, die betreffenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen).

  • EGMR, 12.02.2013 - 1845/08

    PREVITI c. ITALIE

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    48 EGMR, 12. Februar 2013, CE:ECHR:2013:0212DEC000184508.

    55 EGMR, 12. Februar 2013, Previti/Italien, CE:ECHR:2013:0212DEC000184508, Rn. 80. Zur Beurteilung, ob eine Bestimmung dem materiellen Strafrecht oder dem Strafverfahrensrecht angehört, prüft der EGMR, inwieweit diese Bestimmung die Einordnung der Straftat und die Schwere der Strafe beeinflusst.

    56 EGMR, 12. Februar 2013, CE:ECHR:2013:0212DEC000184508.

    57 EGMR, 12. Februar 2013, CE:ECHR:2013:0212DEC000184508.

    58 EGMR, 12. Februar 2013, CE:ECHR:2013:0212DEC000184508, Rn. 80.

    61 EGMR, 12. Februar 2013, Previti/Italien, CE:ECHR:2013:0212DEC000184508, Rn. 80 bis 85.

  • EGMR, 22.06.2000 - 32492/96

    COEME AND OTHERS v. BELGIUM

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    47 EGMR, 22. Juni 2000, CE:ECHR:2000:0622JUD003249296.

    50 EGMR, 22. Juni 2000, Coëme u. a./Belgien, CE:ECHR:2000:0622JUD003249296, Rn. 145.

    52 EGMR, 22. Juni 2000, Coëme u. a./Belgien, CE:ECHR:2000:0622JUD003249296, Rn. 145.

    53 EGMR, 22. Juni 2000, CE:ECHR:2000:0622JUD003249296.

    60 Vgl. insbesondere EGMR, 22. Juni 2000, Coëme u. a/Belgien, CE:ECHR:2000:0622JUD003249296, Rn. 149.

  • EuGH, 26.02.2013 - C-399/11

    Die Übergabe einer Person an die Justizbehörden eines anderen Mitgliedstaats zur

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    8 C-399/11, EU:C:2013:107.

    14 C-399/11, EU:C:2013:107.

    65 C-399/11, EU:C:2013:107.

    66 C-399/11, EU:C:2013:107.

    68 Rn. 60 des Urteils vom 26. Februar 2013, Melloni (C-399/11, EU:C:2013:107).

  • EGMR, 22.09.2015 - 55959/14

    BORCEA c. ROUMANIE

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    49 EGMR, 22. September 2015, CE:ECHR:2015:0922DEC005595914.

    51 EGMR, 22. September 2015, Borcea/Rumänien CE:ECHR:2015:0922DEC005595914, Rn. 60.

    54 EGMR, 22. September 2015, CE:ECHR:2015:0922DEC005595914, Rn. 64.

    62 EGMR, 22. September 2015, Borcea/Rumänien, CE:ECHR:2015:0922DEC005595914, Rn. 59.

  • EGMR, 07.04.2015 - 6884/11

    Polizeigewalt bei G8 in Genua 2001: Italien verurteilt

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    22 EGMR, 7. April 2015, CE:ECHR:2015:0407JUD000688411.

    23 Vgl. EGMR, 7. April 2015, Cestaro/Italien, CE:ECHR:2015:0407JUD000688411, Rn. 225.

    24 EGMR, 7. April 2015, CE:ECHR:2015:0407JUD000688411.

  • EuGH, 16.06.2015 - C-62/14

    Das von der EZB im September 2012 angekündigte OMT-Programm ist mit dem

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    Vgl. hierzu die Ausführungen der Italienischen Republik im Rahmen ihrer schriftlichen Erklärungen in der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a. (C-62/14, EU:C.2015:400), ergangen ist, sowie das Urteil 183/73 der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof), auf das in Rn. 7 der schriftlichen Erklärungen Bezug genommen wird und wonach "auf der Grundlage des Art. 11 der italienischen Verfassung Souveränitätsbeschränkungen nur zur Verfolgung der dort angegebenen Ziele zugestanden wurden; daher ist auszuschließen, dass derartige Beschränkungen ... eine unzulässige Befugnis der Organe der EWG zur Verletzung der Grundprinzipien unserer verfassungsrechtlichen Ordnung oder der unveräußerlichen Rechte der menschlichen Person mit sich bringen könnten.

    6 C-62/14, EU:C:2015:400.

    76 C-62/14, EU:C:2015:400.

  • EuGH, 17.12.1970 - 11/70

    Internationale Handelsgesellschaft mbH / Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    64 Vgl. Urteil vom 17. Dezember 1970, 1nternationale Handelsgesellschaft (11/70, EU:C:1970:114, Rn. 4).

    72 Vgl. Urteil vom 17. Dezember 1970, 1nternationale Handelsgesellschaft (11/70, EU:C:1970:114, Rn. 3).

  • Generalanwalt beim EuGH, 02.10.2012 - C-399/11

    Nach Auffassung des Generalanwalts Bot können die Justizbehörden, die einen

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    63 Diese Erwägungen sind den Nrn. 106 bis 112 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Melloni (C-399/11, EU:C:2012:600), entnommen.

    69 C-399/11, EU:C:2012:600.

  • EGMR, 08.02.2022 - 5766/17

    BOTOYAN v. ARMENIA

    Auszug aus Generalanwalt beim EuGH, 18.07.2017 - C-42/17
    38 Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft vom 17. Juli 2013 (COM[2013] 534 final) und den Entwurf einer Verordnung über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft vom 31. Januar 2017 (Dokument 5766/17).

    41 Vgl. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft der Kommission vom 11. Dezember 2001 (COM[2001] 715 final); Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 26. Mai 2011 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union durch strafrechtliche Vorschriften und verwaltungsrechtliche Untersuchungen, Gesamtkonzept zum Schutz von Steuergeldern (COM[2011] 293 final); SFI-Richtlinienvorschlag; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 17. Juli 2013, Besserer Schutz der finanziellen Interessen der Union, Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und Reform von Eurojust (COM[2013] 532 final); Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die nationalen Parlamente vom 27. November 2013 über die Überprüfung des Vorschlags für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Subsidiaritätsgrundsatz gemäß Protokoll Nr. 2 (COM[2013] 851 final) (Punkt 2.3); Vorschlag für eine Verordnung des Rates vom 17. Juli 2013 über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (COM[2013] 534 final) (vgl. insbesondere das Finanzblatt, Punkt 1.5, S. 55) sowie Entwurf einer Verordnung vom 31. Januar 2017 über die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (Dokument 5766/17); und schließlich Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 294 Absatz 6 AEUV betreffend den Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug (COM[2017] 246 final) (Ziffer 3).

  • EuGH, 28.10.1982 - 18/82
  • EGMR, 12.10.1992 - 12919/87

    BODDAERT c. BELGIQUE

  • EGMR, 01.08.2000 - 36009/97

    C.P. ET AUTRES c. FRANCE

  • EGMR, 17.09.2009 - 10249/03

    Rückwirkende Strafschärfung und Anerkennung des Meistbegünstigungsprinzips als

  • EGMR, 29.03.2011 - 47357/08

    ALIKAJ ET AUTRES c. ITALIE

  • EuGH, 26.02.2013 - C-617/10

    Åkerberg Fransson - Anwendungsbereich der Charta der Grundrechte, Grundsatz des

  • Generalanwalt beim EuGH, 09.11.2017 - C-414/16

    Nach Ansicht von Generalanwalt Tanchev unterliegen berufliche Anforderungen, die

    Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M.A.S und M.B. (C-42/17, EU:C:2017:564, Nrn. 157 und 158) (Urteil noch nicht ergangen).

    Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M.A.S und M.B. (C-42/17, EU:C:2017:564, Nr. 157) (Urteil noch nicht ergangen).

  • Generalanwalt beim EuGH, 09.09.2021 - C-213/19

    Kommission/ Vereinigtes Königreich (Lutte contre la fraude à la sous-évaluation)

    96 Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M.A.S. und M.B. (C-42/17, EU:C:2017:564, Nr. 83).

    So hat Generalanwalt Bot in den vom Vereinigten Königreich angeführten Schlussanträgen dargelegt, dass Recht nur effektiv sei, wenn seine Verletzung geahndet werde, wobei der nationale rechtliche Rahmen für die Ahndung von Mehrwertsteuerbetrug angesichts der Gefahr von Straffreiheit angemessen sein müsse (Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M.A.S. und M.B., C-42/17, EU:C:2017:564, Nr. 82 bis 87).

  • EuGH, 08.03.2022 - C-213/19

    Das Vereinigte Königreich hat dadurch gegen seine Verpflichtungen in Bezug auf

    Entgegen dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs ergibt sich aus der Rechtsprechung zudem nicht, dass einem Mitgliedstaat nur dann eine Verletzung seiner Verpflichtungen aus Art. 325 Abs. 1 AEUV angelastet werden kann, wenn die Kommission dartut, dass die fragliche nationale Maßnahme auf eine "offensichtliche und erhebliche Gefahr der Straffreiheit" oder auf das "Ausbleiben einer Sanktion" hinausläuft (Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache M.A.S. und M.B., C-42/17, EU:C:2017:564, Nr. 83), oder wenn "Fahrlässigkeit" oder ein "willkürliches" Verhalten des betreffenden Mitgliedstaats vorliegt (Urteile vom 16. Mai 1991, Kommission/Niederlande, C-96/89, EU:C:1991:213, Rn. 37, vom 15. Juni 2000, Kommission/Deutschland, C-348/97, EU:C:2000:317, Rn. 64, und vom 18. Oktober 2007, Kommission/Dänemark, C-19/05, EU:C:2007:606, Rn. 18 und 35).
  • Generalanwalt beim EuGH, 22.01.2020 - C-634/18

    Prokuratura Rejonowa w Slupsku - Vorlage zur Vorabentscheidung - Justizielle

    Vgl. auch die Schlussanträge meines verstorbenen und geschätzten Kollegen Generalanwalt Bot in der Rechtssache M.A.S. und M.B. (C-42/17, EU:C:2017:564, Nr. 74), in denen er darauf hingewiesen hat, dass der Grundsatz, dass Straftaten und Strafen gesetzlich definiert sein müssen, einer der wesentlichen Grundsätze des modernen Strafrechts ist, der insbesondere vom italienischen Strafrechtler Cesare Beccaria entwickelt wurde, der sich in seinem berühmten Werk Von den Verbrechen und von den Strafen (1764) auf Montesquieu in Vom Geist der Gesetze , Buch XI Kapitel VI der Verfassung Englands (1748), bezog.
Haben Sie eine Ergänzung? Oder haben Sie einen Fehler gefunden? Schreiben Sie uns.
Sie können auswählen (Maus oder Pfeiltasten):
(Liste aufgrund Ihrer bisherigen Eingabe)
Komplette Übersicht