Rechtsprechung
VG Karlsruhe, 12.01.2017 - 3 K 141/16 |
Volltextveröffentlichungen (6)
- openjur.de
- Justiz Baden-Württemberg
Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Umschließung (Ingewahrsamnahme) und erkennungsdienstlichen Behandlung in der Öffentlichkeit bei einem Fußballspiel
- Landesrecht Baden-Württemberg
§ 28 PolG BW, § 36 PolG BW, § 27 Abs 2 Nr 1 VersammlG, § 27 Abs 2 Nr 2 VersammlG, § 127 StGB
Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Umschließung (Ingewahrsamnahme) und erkennungsdienstlichen Behandlung in der Öffentlichkeit bei einem Fußballspiel
- ra.de
- rechtsportal.de(Abodienst, kostenloses Probeabo)
PolG BW § 28; PolG BW § 36
Allgemeines Polizeirecht - Polizeiliche Umschließung; Ingewahrsamnahme; Erkennungsdienstliche Behandlung; "Ultras"; Fußballspiel - juris(Abodienst) (Volltext/Leitsatz)
Wird zitiert von ... (4)
- VGH Baden-Württemberg, 18.11.2021 - 1 S 803/19
Auflösung einer Blockadeversammlung anlässlich eines AfD-Parteitags; …
a) Als Rechtsgrundlage für die Einschließung des Klägers als Teilnehmer der Ansammlung auf der Kreuzung Flughafenstraße, die mit der Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit in jede Richtung und über einen längeren Zeitraum eine Freiheitsentziehung darstellt (…vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.03.2011 - 1 BvR 47/05 -, juris Rn. 20) und damit polizeirechtlich als eine Ingewahrsamnahme zu qualifizieren ist (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 28;… Urt. v. 10.12.2018 - 1 K 6428/16 -, juris Rn. 59; jeweils m.w.N.;… BeckOK PolR BW/Hauser, 22. Ed. 17.1.2021, BWPolG § 33 Rn. 18;… Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2021, G Rn. 178), die als solche auch nicht als eine sogenannte "Minusmaßnahme" gegenüber einer Auflösung der Versammlung auf § 15 Abs. 3 VersG gestützt werden könnte, kommt allein § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG a.F. in Betracht. - VG Karlsruhe, 10.12.2018 - 1 K 6428/16
Freiheitsbeschränkende polizeiliche Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer; …
Diese Maßnahmen greifen in die Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bzw. in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein und sind typischerweise nur von kurzer Dauer (vgl. VG ..., Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -).Nicht nur bei der späteren Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung, sondern auch bei der Einkesselung handelt es sich um eine Maßnahme des Gewahrsams im Sinne des § 28 Abs. 1 PolG (vgl. Beschluss der Kammer vom 26.09.2018 - 1 K 6428/16 - VG ..., Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 29; VG Sigmaringen…, Urteil vom 29.11.2010 - 1 K 3643/09 -, juris Rn. 39).
Eine Freiheitsentziehung setzt mindestens voraus, dass die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfG…, Beschluss vom 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00 -, juris Rn. 23; VG ..., Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 - Hauser, in: Möstl/Trurnit, BeckOK Polizeirecht Baden-Württemberg, 12. Edition, Stand: 15.09.2018, § 28 Rn. 15).
Eine Störung steht unmittelbar bevor, wenn mit ihr sofort oder in allernächster Zeit gerechnet werden muss (VG ..., Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -).
Die Begehung von Straftaten, insbesondere die Anwendung von körperlicher Gewalt jeglicher Art gegenüber anderen Personen begründet eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG (VG ..., Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -).
- VG Neustadt, 06.09.2017 - 5 K 783/16
Polizeirecht, Verwaltungsprozessrecht
Bei dieser Zeitdauer hatte der Eingriff in die Freiheitsrechte eine solche Intensität erreicht, dass eine Freiheitsentziehung gegeben war (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 12. Januar 2017 - 3 K 141/16 -, juris unter Bezugnahme auf Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Auflage 2015, § 26 Rn. 29: ab einer Stunde). - VG Stuttgart, 12.05.2022 - 5 K 1433/20
Polizeieinsatz, Fußball, Bundesliga, Einkesselung, Ingewahrsamnahme, …
Soweit die Klage die Ingewahrsamnahme der Klägerin durch die Polizei zum Gegenstand hat, ist darüber auch keine richterliche Entscheidung nach § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG a.F. ergangen, deren Erlass gemäß § 28 Abs. 4 Satz 8 PolG a.F. zum Ausschluss verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelfe geführt hätte (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 25).Hält diese Freiheitsentziehung eine gewisse Mindestzeitdauer an und erreicht der Eingriff damit eine bestimmte Intensität, ist eine solche Maßnahme als Ingewahrsamnahme zu qualifizieren (vgl. BVerfG…, Beschluss vom 08.03.2011 - 1 BvR 47/05 -, juris Rn. 22; VGH Baden-Württemberg…, Urteil vom 18.11.2021 - 1 S 803/19 -, juris Rn. 37; VG Karlsruhe, Urteile vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 28 …und vom 10.12.2018 - 1 K 6428/16 -, juris Rn. 59; jeweils m.w.N.;… Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2021, G Rn. 178).
Es genügt auch die Begrenzung seiner Bewegungsfreiheit auf einen "engen Ort" (…Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., E 496 S. 454, für einen ähnlichen Fall wie hier auch VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 29).
In zeitlicher Hinsicht ist jedenfalls bei einer Freiheitsentziehung von über einer Stunde Dauer von einer Ingewahrsamnahme auszugehen (…vgl. Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Auflage 2015, § 26 Rn. 29 "ab einer Stunde";… ähnlich: Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Auflage 2014, § 4 Rn. 12; vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 29).
Rechtlich ist eine solche Ingewahrsamnahme in Baden-Württemberg für den hier maßgeblichen Zeitpunkt an § 28 PolG a.F. zu messen (VGH Baden-Württemberg…, Urteil vom 18.11.2021 - 1 S 803/19 -, juris Rn. 37; VG Karlsruhe, Urteile vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 28 …und vom 10.12.2018 - 1 K 6428/16 -, juris Rn. 59).
Die dort statuierte Belehrungspflicht setzt die Verbringung in behördliche Gewahrsamsräume voraus (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 30 und - insoweit folgerichtig schweigend - VGH Baden-Württemberg…, Urteil vom 17.03.2011 - 1 S 2513/10 -, juris Rn. 23).
Im Fall einer kurzzeitigen Ingewahrsamnahme einer größeren Personengruppe durch polizeiliche Umschließung an Ort und Stelle ist eine Belehrung nach § 28 Abs. 2 PolG a.F. dagegen nicht praktikabel und auch vom Zweck der Norm nicht gefordert (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 30).
I.) Als konkrete Anlasstatsachen konnten sich die Beamten dabei zum einen auf die Geschehnisse beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Clubs in Stuttgart sowie auf die Vorfälle im Vorfeld des Fanmarsches (vgl. zur Verwertbarkeit auch solcher Vorfeld-Umstände für die konkrete polizeiliche Prognose: VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 32) und die auf solche und ähnliche Tatsachen gestützte polizeiliche Erfahrung berufen.
Damit bestand hinsichtlich aller umschlossener Personen jedenfalls der Verdacht von Straftaten nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG sowie § 127 StGB (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 45).
Dementsprechend kommt es für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme allein auf die ex ante Prognose an, sodass auch ein mögliches Unterbleiben oder eine mögliche spätere Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO einen Tatverdacht im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 2 PolG a.F. im fraglichen Zeitpunkt nicht entfallen lässt (vgl. VGH Baden-Württemberg…, Beschluss vom 05.04.2016 - 1 S 275/16 -, juris Rn. 6; VG Karlsruhe, Urteil vom 12.01.2017 - 3 K 141/16 -, juris Rn. 45).