Rechtsprechung
EGMR, 25.11.2021 - 63703/19 |
Volltextveröffentlichung
- Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
MUCHA v. SLOVAKIA
Violation of Article 6 - Right to a fair trial (Article 6 - Criminal proceedings;Article 6-1 - Impartial tribunal);Non-pecuniary damage - award (Article 41 - Non-pecuniary damage;Just satisfaction) (englisch)
Sonstiges
- Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Verfahrensmitteilung)
MUCHA v. SLOVAKIA
Wird zitiert von ... (3)
- BVerfG, 27.01.2023 - 2 BvR 1122/22
Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung in einem …
Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte genügt allein die Tatsache, dass ein Richter bereits über ähnliche, aber selbständige Tatvorwürfe entschieden oder in einem gesonderten Strafverfahren gegen einen Mitangeklagten verhandelt hat, nicht, um Zweifel an der Unparteilichkeit dieses Richters in einem nachfolgenden Fall zu begründen (stRspr; vgl. EGMR, Schwarzenberger v. Germany, Urteil vom 10. August 2006, Nr. 75737/01, § 42;… Kriegisch v. Germany, Entscheidung vom 23. November 2010, Nr. 21698/06, NJW 2011, S. 3633 ; Bezek v. Germany, Entscheidung vom 21. April 2015, Nr. 4211/12 und 5850/12, § 32 f.; Meng v. Germany…, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 47, NJW 2021, S. 2947 ; Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 49).Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt ferner an, dass es in komplexen Strafverfahren mit mehreren Beteiligten, die nicht in einem Verfahren gleichzeitig abgeurteilt werden können, für die Beurteilung der Schuld der abzuurteilenden Personen unerlässlich sein kann, dass das Strafgericht auf die Beteiligung Dritter Bezug nimmt, gegen die später womöglich ein gesondertes Verfahren geführt wird (vgl. EGMR, Meng v. Germany…, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 47, NJW 2021, S. 2947 ; Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 58; vgl. mit Blick auf Art. 6 Abs. 2 EMRK auch EGMR, Karaman v. Germany, Urteil vom 27. Februar 2014, Nr. 17103/10, § 64).
Ausdrücklich hat er betont, dass Strafgerichte auch in solchen Konstellationen den für die Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten maßgeblichen Sachverhalt so genau und präzise wie möglich feststellen müssen und entscheidende Tatsachen - einschließlich solcher mit Bezug auf die Beteiligung Dritter - nicht als reine Behauptungen oder Vermutungen darstellen dürfen (vgl. EGMR, Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 58; Karaman v. Germany, Urteil vom 27. Februar 2014, Nr. 17103/10, § 64).
Vielmehr musste das Tatgericht seiner Pflicht nachkommen, den für die Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der damals Angeklagten maßgeblichen Sachverhalt so genau und präzise wie möglich festzustellen und entscheidende Tatsachen - auch solche mit Bezug auf die Beteiligung Dritter - nicht als reine Behauptungen oder Vermutungen darzustellen (vgl. EGMR, Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 58; Karaman v. Germany, Urteil vom 27. Februar 2014, Nr. 17103/10, § 64).
- BGH, 18.05.2022 - 3 StR 181/21
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (Vorbefassung: Mitwirkung an …
Der Umstand, dass ein Richter an einem gesonderten Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten und einem dort ergangenen Urteil beteiligt war, genügt danach nicht, um Zweifel an seiner Unparteilichkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK in einem nachfolgenden Verfahren wegen desselben Tatgeschehens zu begründen (EGMR, Urteile vom 25. November 2021 - 63703/19 Rn. 49;… vom 16. Februar 2021 - 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 47 (vorhergehend: BGH…, Urteil vom 10. Februar 2016 - 2 StR 533/14, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vortätigkeit 3); Entscheidung vom 23. November 2010 - 21698/06, NJW 2011, 3633, 3634;… Urteil vom 10. August 2006 - 75737/01, NJW 2007, 3553 Rn. 42).Er hat es daher als grundsätzlich konventionskonform erachtet, wenn ein Gericht zur Beurteilung der Schuld eines Angeklagten in einem Urteil auf die Beteiligung eines Dritten eingeht, gegen den (später) ein gesondertes Verfahren geführt wird; das könne unerlässlich sein und genüge allein nicht, um in dem gesonderten Verfahren gegen den Dritten Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts zu begründen (EGMR, Urteile vom 25. November 2021 - 63703/19 Rn. 49, 58;… vom 16. Februar 2021 - 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 47;… Entscheidung vom 21. April 2015 - 4211/12 Rn. 32, 36;… Urteil vom 24. März 2009 - 32271/04 Rn. 23, 26).
Dies gilt insbesondere, wenn das frühere Urteil nicht lediglich Tatsachen benennt, die (auch) den Beschwerdeführer betreffen, sondern - ohne dass dies für eine Beurteilung der Tat des Mitbeschuldigten erforderlich war - eine genaue rechtliche Bewertung seiner Beteiligung enthält (vgl. EGMR, Urteile vom 25. November 2021 - 63703/19 Rn. 49, 58;… vom 16. Februar 2021 - 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 48, 57, 61 mwN;… Entscheidung vom 21. April 2015 - 4211/12 Rn. 32, 36;… Urteil vom 11. Juli 2013 - 2775/07 Rn. 116; Entscheidung vom 23. November 2010 - 21698/06, NJW 2011, 3633, 3634;… Urteil vom 24. März 2009 - 32271/04 Rn. 26, 28).
Indiziell gegen eine Parteilichkeit eines beteiligten Richters spricht dabei, wenn sich aus dem späteren Urteil gegen den Beschwerdeführer ergibt, dass das Gericht dessen Tat neu und unabhängig von dem früheren Erkenntnis auf der Grundlage der in dem späteren Verfahren abgegebenen Einlassungen und erhobenen Beweise geprüft und sich nicht auf Feststellungen in dem früheren Urteil gestützt hat (vgl. EGMR, Urteile vom 25. November 2021 - 63703/19 Rn. 51;… vom 16. Februar 2021 - 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 50 mwN;… Entscheidungen vom 21. April 2015 - 4211/12 Rn. 35; vom 23. November 2010 - 21698/06, NJW 2011, 3633, 3635;… Urteil vom 10. August 2006 - 75737/01, NJW 2007, 3553 Rn. 43).
Gleiches gilt, wenn der vorbefasste Richter ein Berufsrichter ist, weil ein solcher eher als ein ehrenamtlicher Richter in der Lage sei, sich von den im früheren Verfahren getroffenen Feststellungen freizumachen (EGMR, Urteile vom 25. November 2021 - 63703/19 Rn. 51;… vom 16. Februar 2021 - 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 51;… Entscheidung vom 21. April 2015 - 4211/12 Rn. 38).
Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seine Gesamtbetrachtung eingestellten Kriterien, ob das Tatgericht die Verurteilung des Beschwerdeführers in einem späteren Verfahren ohne Rückgriff auf die Beweisergebnisse des früheren Verfahrens auf eine neue Beweisaufnahme und eigenständige Beweiswürdigung gestützt hat beziehungsweise das erkennende Gericht - wie es vorliegend der Fall ist - im späteren Urteil zu im Detail vom ersten Erkenntnis abweichenden Feststellungen gelangt ist (vgl. EGMR, Urteile vom 25. November 2021 - 63703/19 Rn. 51;… vom 16. Februar 2021 - 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 50, 56 mwN), haben bei der hier vorzunehmenden Beurteilung einer Befangenheitsrüge nach § 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO allerdings außer Betracht zu bleiben.
- OLG Oldenburg, 10.06.2022 - 1 Ws 203/22
Besorgnis der Befangenheit des Richters wegen Vorbefassung in anderem …
Diese Mutmaßung wird durch die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einer Folgeentscheidung vom 25. November 2021 (63703/19 - Mucha/Slowakei) bestätigt.